Dass „das geschilderte Verhalten der Beamten gegenüber meinem Mandanten (sich) an einem 20. April“ ereignete, so schreibt die Anwältin dem Gericht, habe in ihr „recht bedenkliche Assoziationen geweckt“. An diesem Tag vor zwei Jahren stehen vier Kubaner auf dem Berliner Alexanderplatz. Zwei Zivilpolizisten der Arbeitsgruppe Ausländer (AGA) tauchen auf und überprüfen die Personalien der (schwarzen) „Ausländer südlicher Herkunft“, die sie per Funk im Informationssystem der Berliner Polizei überprüfen lassen. Alle vier leben legal in Berlin, alle bis auf einen haben ihre Papiere dabei. Herr E. kann nur eine Krankenkassenkarte vorlegen. Er ist gerade erst umgezogen und hat seinen Pass zu Hause vergessen. Die Strasse kann er benennen, weil er aber Kubaner ist, verstehen ihn die Beamten nicht oder wollen ihn nicht verstehen. Sie fragen ihn auch nicht danach, das Ganze aufzuschreiben und das Missverständnis aus der Welt zu räumen. Er ist bereit, mit den Polizisten zu seiner nahe gelegenen Wohnung zu fahren und ihnen dort den Pass vorzulegen. Als sie ihm dazu aber Handfesseln anlegen wollen, weicht er zurück. Die Vorstellung, wie ein Verbrecher gefesselt vor den neuen Nachbarn aufzutauchen, ist ihm peinlich. Er habe um sich geschlagen und getreten – Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit versuchter schwerer Körperverletzung -, behaupten die Beamten später in ihren Berichten. Statt nach Hause bringen sie ihn auf die Wache. Auch als seine (deutsche) Frau zwei Stunden später den Pass vorbeibringt, wird er weiter festgehalten. Eine ED-Behandlung und eine Telebildanfrage beim BKA folgen. Es bestehe eine „Teilidentität“ mit einer zur Festnahme ausgeschriebenen Person. Erst nachts um eins – Führers Geburtstag ist vorbei – wird der Mann freigelassen.
Bis zum heutigen Tage ist nicht klar, mit wem diese Teilidentität bestanden haben soll. An der Grenze zur Legalität war die Fahndungsabfrage, rechtswidrig war die Fesselung, rechtswidrig war die Mitnahme zur Wache und um so mehr die andauernde Freiheitsberaubung, nachdem der Pass vorlag. Die Anklage gegen den Mann wird eingestellt. Rechtsanwältin und Mandant akzeptieren. Das Risiko einer Verurteilung und entsprechender Folgen bei der Verlängerung des Aufenthaltes ist trotz entlastender Zeugenaussagen zu groß.
Übergriffe wie dieser sind keine Seltenheit. Sie sind geradezu programmiert, seitdem die GesetzgeberInnen von Bund und den meisten Ländern der Polizei Befugnisse zur verdachtsunabhängigen Kontrolle eingeräumt haben – Befugnisse, die fast ausschließlich gegen MigrantInnen und Flüchtlinge angewandt werden. Die Jagd nach „Illegalen“ ist europaweit zu einem zentralen Auftrag der Polizei geworden. Horrorszenarien von kriminellen Ausländern, die das „Gastrecht“ der BRD missbrauchen und heimische Konflikte auf deutschem Boden austragen, füllen die Schlagzeilen (nicht mehr nur) der Boulevardpresse und die Reden von wahlkampfbesoffenen PolitikerInnen.
Ausländerfeindliche Politik und Polizei mussten seit Jahren Gegenstand dieser Zeitschrift sein, und es steht zu befürchten, dass sie es auch nach diesem Schwerpunktheft bleiben, in dem wir uns auf Aspekte der Kriminalisierung von AusländerInnen beschränken. Die Frage der polizeilichen Übergriffe auf diese Bevölkerungsgruppe haben wir hier bewusst ausgeklammert, weil sie den Rahmen des Heftes gesprengt hätte. Dies wird ausführlich in der letzten Ausgabe dieses Jahres geschehen, die sich schwerpunktmäßig mit „Übergriffen und Kontrolle der Polizei“ beschäftigen wird.
Jahr:
2000
Verlag:
Berlin, Verl. CILIP
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14.9/1
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ISSN:
0932-5409
Beschreibung:
110 S.
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Mediengruppe:
Buch